„Mein Kunde will keine Standardprodukte, mein Kunde will individuelle Beratung!“

Diesen Spruch habe ich schon oft gehört und gelesen. Erst kürzlich wieder in einem Newsletter, um ein Interview anzuteasern.

Ich frage mich dann immer: „Glauben die das wirklich?? – oder ist es ein bewusstes Framing?“

Zunächst wird durch die Verwendung des Begriffs „Standardprodukt“ oft der Eindruck erweckt, dass es sich dabei um minderwertige oder schlechte Produkte handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Bezeichnung „Standard“ oder „Individuell“ sagt grundsätzlich nichts über die Qualität eines Produktes aus, noch über dessen Angemessenheit für die spezifische Kundensituation.

Es ist richtig, dass es schwieriger ist, mit einem Standardprodukt dem Wunsch nach Individualität und Exklusivität gerecht zu werden, dieses Thema werden wir später noch vertiefen. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass Standardprodukte in der Regel weniger komplex sind und die Organisation auf die Produktion und Abwicklung sehr gut eingespielt ist. Es gibt auch höhere Automatisierungsgrad in den Prozessen, was bedeutet, dass die Produktion weniger fehleranfällig ist, beispielsweise aufgrund von menschlichen Fehlern, die bei Beratungsgesprächen – durch Ablenkung oder Belastung – unter Umständen passieren können.

Individuelle Produkte werden meistens als solche verkauft, sind aber fast immer in Wirklichkeit eine Kombination aus Standardprodukten oder eine geringfügige Variante eines Standardproduktes. Natürlich gibt es Fälle wo eine Manufaktur wirklich sinnvoll ist – aber dies ist eher die Ausnahme als die Regel. In der heutigen Zeit lösen alle neue Produkte, meistens allein schon Produktvarianten, erhebliche regulatorische Prüfaufwände aus (Stichwort: NPP/NPNM-Prozess) und treffen aufgrund ihres geringen Mengengerüstes auf eine Organisation, wo das Wissen für dieses Produkt nur auf wenig Schultern abgeladen werden kann. Dies ist nicht zwingend erstrebenswert – weder für den Kunden, noch für die leistungserbringende Organisation.

Der Kern ist doch, dass individuelle Beratung und Standardprodukte kein Gegensatz sind, wie es gern behauptet wird, sondern sich im Gegenteil ergänzt.

Die individuelle Beratung führt doch im Zielbild zu der perfekten, individuellen Lösung für diesen Kunden in seiner aktuellen Situation. Selbst wenn eine Lösung bei anderen Kunden schonmal vergleichbar zum Einsatz kam, ist es trotzdem seine Lösung und nicht irgendeine Lösung.

Ich schreibe Lösung und nicht Produkt, weil es um die Lösung des Kundenproblems geht und nicht um den Produktverkauf. Natürlich kann ein Produktverkauf Teil der Lösung sein (oder sogar das zentrale Element) aber es können auch zwei oder drei Produkte sein – oder auch gar keins.

Die echte Individualität besteht also immer in der Beratung und nicht in dem Produkt. Denn auch in dem „individuellen Produkt“ fängt die Produktentwicklung ja schon im Beratungsgespräch an.

Zurück zum Snobeffekt: Mir gefällt die Vorstellung, dass ein Kunde mit seinem Berater angibt, statt mit einem gekauften Produkt.

Veröffentlicht von Thies Lesch, LL.M.

Thies Lesch (Baujahr 1972) studierte, nach Bankausbildung und Weiterbildung zum Handelsfachwirt, Betriebswirtschaft an der Fernuniversität in Hagen und schloss mit den Vertiefungen Bankbetriebslehre und Wirtschaftsinformatik als Diplom-Kaufmann ab. Mit einigen Jahren Abstand folgte in 2016 der Master of Laws in Wirtschaftsrecht an der Hamburger Fernhochschule HFH mit den Vertiefungsschwerpunkten Arbeitsrecht, Mediation und – als Abschlussthema – Kreditrecht. Die Masterarbeit „Negative Zinsen und das Kreditgeschäft: Rechtliche Herausforderungen für Banken in Deutschland“ wurde vom SpringerGabler-Verlag in das BestMasters-Programm aufgenommen und erschien im Januar 2017 als Fachbuch. Die über 25 Jahre Berufserfahrung erstrecken sich in verschiedenen Rollen und (Führungs-)Funktionen weitgehend auf das Firmenkunden(kredit)geschäft und nationale wie internationale Spezial-/Projektfinanzierungen. Thies Lesch ist ein ausgewiesener Experte in Vertriebsmanagement und Vertriebssteuerung mit ausgeprägter strategischer Kompetenz und hohen Change-Management-Skills. Sein Interesse gilt der Systematisierung im Vertrieb, der potenzialorientierten Marktbearbeitung und der Zukunftsfähigkeit des Produktangebotes von Banken und Sparkassen.

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