Die Geschichte vom Schranksteher

Manchmal hilft es, einen Blick in die Historie zu werfen, um Entwicklungen zu verstehen. Im Bankgeschäft verändern sich nicht nur Kunden und Märkte, sondern auch Prozesse, Verhalten und Einstellungen müssen sich dann gleichermaßen und entsprechend verändern.


Hier zum Rückblick: Die Entwicklung des Firmenkundenvertriebs in den Banken und Sparkassen


Trotz einer nunmehr jahrhundertealten Historie ist das Geschäftsmodell von Regionalbanken typischerweise nach wie vor rund um den Kern des Immobilienkredites errichtet. Nicht nur, weil die Menschen in den Regionen immer noch Haus und Hof als wichtiges Ziel in ihren Leben verfolgen. Es ist auch verlockend, denn es geht um große Volumen mit einer langen Laufzeit, und die sind kommerziell betrachtet sowohl von der Erreichbarkeit an absoluten Erträgen, aber auch von den damit verbundenen Prozess und Bearbeitungskosten sehr attraktiv.

Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass diese Art von Geschäft Schranksteher erzeugt.

Ein Schranksteher ist aus der Bearbeitungssicht sicherlich durchaus etwas wünschenswertes. die Akte, die ich bearbeite, stelle ich, wenn ich fertig bin, in den Schrank und wenn ich ganz viel Glück habe, hole ich sie vor der Vernichtung nie wieder raus. Das gilt logischerweise übertragen auch in digitalisierte Geschäftsmodelle, wobei dort der Aktenzugriff oder die Arbeit mit der Akte kein echter Aufwandstreiber mehr darstellt. Aber die Prozesse sind entsprechend errichtet und Verhalten und Erwartungshaltung sind entsprechend drumherum.

Eines darf man nicht vergessen: ein Schranksteher erzeugt nur eine begrenzte Kundenbindungswirkung. Die Finanzierung oder der Erwerb einer Immobilie und die damit verbundene Finanzierung sind Lebensentscheidungen und auch bei Unternehmen sind dies meist sehr große Entscheidung mit einer erheblichen Tragweite. Und selbstverständlich löst die finanzierende Bank in dem Moment der Finanzierungsentscheidung, der Vertragsausfertigung und dann der folgenden Auszahlung ein großes Kundenproblem und bekommt in dem Moment auch eine entsprechende Kundenbindung generiert. Allerdings gewöhnt man sich auch schnell an das neue Eigenheim und man muss noch ganz lange dafür bezahlen. Und Menschen neigen ja dazu ein eher Kurzzeitgedächtnis zu haben und damit verfliegt viel dieser Kundenbindungswirkung, ohne dass ein Schranksteher dabei einen Anfasser bietet.

Die Vertriebssteuerung in Banken ist typischerweise sehr nah an Planung und Steuerung der GuV ausgerichtet. Dies hat aus Sicht der Vertriebssteuerer/Gesamtbanksteuerer den Vorteil, dass die Überleitung einfacher ist, dass eine Konsistenz vergleichsweise mit geringem Aufwand herzustellen ist, aber: es führt in den Steuerungsimpulsen auch tendenziell dazu größere Abschnitte beziehungsweise Geschäfte mit besonders hohen Deckungsbeiträgen zu begünstigen.

Dass ist per se ja nicht schlecht , führt aber eben auch dazu in der Ausrichtung der gesamten Organisation, und das schließt natürlich auch die entsprechende Allokation von Ressourcen, also Personal, IT, Projektbudgets etc. mit ein, auf ein eben als besonders als lukrativ empfundenes Kernprodukt, in diesem Fall im Geschäftsmodell einer Regionalbank, auf die Immobilienfinanzierung für Häuslebauer.

Und Priorisierung heißt eben auch, dass etwas anderes weniger priorisiert werden kann. Und das ist dann die entsprechende, ja relative Vernachlässigung anderer Angebotsbestandteile.

Wie vorstehend schon gesagt, entstand das Firmenkundengeschäft als Spezialität bzw. als Spin Off aus dem Privatkundengeschäft. Und klar muss sich ein neues Geschäftsfeld am Anfang etablieren und freischwimmen. Und bei neuen Geschäften, wie auch bei größeren Geschäften ist sehr starker Fokus auf Risikomanagement gelegt – und dies steigert die Attraktivität einer Immobilienfinanzierung für die Organisation weiter. Also steht auch im Geschäft mit Firmenkunden die Immobilie oftmals im Fokus – aus Anbietersicht. Damit sind wir wieder bei den Schrankstehern, denn die werden nicht regelmäßig angefasst beziehungsweise nur zu einer Überwachung und dies ist zu reaktiv für eine anspruchsvolle und komplexere Kundenorganisation als bei den meisten Privatkunden.


Warum ist die Intensivierung der regelmäßigen Kundenansprache im Firmenkundengeschäft so wichtig?


Es stellen sie sich doch die Fragen:

Womit entstehen die Berührungspunkte im Tagesgeschäft? – und zwar nicht im Tagesgeschäft der Regionalbank, sondern im Tagesgeschäft dieses Firmenkunden.

Denn nur über diese Berührungspunkte lässt sich in dem Sinn einer Beziehung und einer Wahrnehmung dieser Beziehung eine Nähe erzeugen.

Und aus diesen Berührungspunkten müssen sich auch Anlässe ableiten lassen, aus denen die Problemlösungskompetenz gezeigt werden kann. Also Mehrwerte geschaffen werden, in dem Herausforderungen oder mehr oder weniger kritische Themen dieser Kunden auch weggeräumt werden.

Und der dritte Punkt ist tatsächlich der Perspektivwechsel mit dem Kunden. Ein Perspektivwechsel erlaubt es mit dem Kunden mitzudenken und über das Zeigen dieses Mitdenkens auch Vertrauen aufzubauen.


„Scheuklappen“: ein Schwachpunkt im Bankenvertrieb


Und ganz klar: das macht mehr Arbeit. Und ist anstrengend.

Und nicht alle diese Arbeit, die getan werden muss, wird in der Regionalbank sichtbar sein. Es wird Leute geben, die Fragen, „was macht er eigentlich den ganzen Tag“ und die Organisation selbst hat auf Basis ihrer GuV-Steuerung bereits mindestens mal planerisch eine Entscheidung getroffen, welche Schwerpunkte sie setzen will. Also die Organisation, wird dem Betreuer dieses Kunden (dem Key Accounter, wie auch immer er in dieser Rolle bezeichnet wird) nicht dabei helfen, dem gerecht zu werden, was der Kunde braucht um sich gut betreut zu fühlen.

Eines ist jedoch sicher: Diese zusätzliche Arbeit wird durch den Kunden wahrgenommen und wird die Wahrnehmung auf die betreuende Person stärker als auf die Dachmarke der Regionalbank deutlich verbessern.


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Also nochmal: eine Immobilie ist eine Lebensentscheidung und auch für ein Unternehmen. Es ist eine große Sache, die Beratung und die Begleitung sind wichtig und ja, wenn alles klappt, ist der Kunde glücklich und es entsteht eben auch ein Momentum an an Kundenbindung – aber, wenn das Problem gelöst ist, dann wird aus dieser Perspektive auf das Konto „Kundenbindung“ nichts mehr eingezahlt.

Es kann nur noch abgebucht werden und wenn man Glück hat, bleibt der Kontosaldo stehen und es wird nichts abgebucht, aber es passiert ja nichts und es rückt immer weiter in die Vergangenheit. Es kommen auch immer neue Themen, um die sich der Kunde kümmern muss, immer neue Themen, auf die der Kunde eine Wahrnehmung hat und das müssen nicht zwingend alles Themen sein, die mit Banking zu tun haben oder geschweige denn mit seiner Regionalbank. Aber der Relevanz-Baustein aus der Immobilienfinanzierung, der die Kundenbindung ursprünglich gebracht hat, wird in der Lebenslinie oder in der Zeitachse immer kleiner in der Wahrnehmung, weil er immer weiter weg in Richtung Horizont entschwindet.

Das Risiko inadäquat drauf zu reagieren ist hoch, denn der Kunde als Schranksteher ist per se träge. Er hat eine lange Zinsbindung auf seiner Finanzierung und er ist wahrscheinlich auch ein Stück weit bequem und er muss ja auch gar nicht unzufrieden sein. Er fühlt sich einfach nur nicht mehr verbunden. Er ist noch ein Stück aus der Vertragslaufzeit gebunden und ist vielleicht durchaus willens, das einfach laufen zu lassen und weiter zu prolongieren, wenn der nächste Terminansteht. Aber er ist eben nur noch gebunden und nicht mehr verbunden und das kann dazu führen, dass diese Kunden mit den Füßen abstimmen/abgestimmt haben, ohne dass es sofort sichtbar oder spürbar wird.

Das ist ein bisschen wie der Frosch im Kochtopf, wo langsam die Temperatur erhöht wird und der Frosch den richtigen Zeitpunkt verpasst rauszuspringen. Genauso verpasst im Zweifel auch der Berater den richtigen Moment, sich um den Kunden zu kümmern und die Kundenbindung zurückzuholen, denn Kundenbindung muss gelebt werden und ständig erneuert werden.


Achtung Verwechselungsgefahr: Kundenorientierung! Kundenorientierung und Kundennähe sind nicht das gleiche und die beiden Begriffe dürfen nicht verwechselt werden. Der Kunde benötigt seinerseits jedoch Nähe zum Berater, Nähe zur Bank, um sich erkannt und vor allem auch verstanden zu fühlen. Dies ist jedoch eine professionelle Nähe, keine Freundschaft.


Und es gibt ja nicht nur Immobilienfinanzierungen, die einmalig auf Kundenbindung einzahlen und das vielleicht sogar auch relativ stark. Es gibt unheimlich viele alltägliche Dinge: Kreditkarten, Auslandsüberweisungen, Wertpapieranlagen, was auch immer den Kunden betrifft. Dinge, die der Kunde auch braucht, nachfragt, die aber sehr hohe Metoo Eigenschaften haben, also eine geringere Differenzierung zu den Angeboten des Wettbewerbs aufweisen oder eigentlich nur Hygienefaktoren sind. Zum Beispiel klassischer Zahlungsverkehr: kein Kunde freut sich darüber, wenn seine Bank unfallfrei Geld von einem Konto auf ein anderes Konto überweisen kann. Ich glaube aber, andersrum ist er sehr verärgert, wenn es nicht funktioniert. Also ist es kein Differenzierungskriterium, es ist ein ein notwendiger Hygienefaktor – aber diese verschwinden sehr schnell aus der Wahrnehmung des Kunden.

Und das führt natürlich in Summe dazu, dass die Persönlichkeit und der Einsatz des Key-Accounters das einzig entscheidende Kriterium ist, über das die Kundenbindung aufgebaut werden, weiterentwickelt und erhalten werden kann. (Und das meint Kontakte, bei denen der Betreuer und seine Persönlichkeit sichtbar werden, nicht standardisierte Kommunikationsformate – egal ob papierhaft, digital oder am Telefon.)

Das impliziert natürlich, dass der Key-Accounter mit marktgerechten Konditionen unterwegs ist, nicht als billiger Jakob, aber auch nicht mit Mondpreisen. Und das impliziert gleichermaßen, dass es in der Stoßrichtung keine Effizienz getriebene Strategie in der Marktbearbeitung verfolgt wird.

Es läuft darauf hinaus, dass nur der Mensch in der Betreuung den Unterschied machen kann und jedes Mal, wenn die Akte zurück in den Schrank gestellt wird, ist es eine aktive Entscheidung, auf einen Verzicht den Kunden anzusprechen, ihn neu kennen zu lernen und nach etwas neuem zu fragen.

Und wer die Ohren spitzt, hört das leise kratzen im Schrank, denn die Akte will raus in die Freiheit und neue Abenteuer erleben. Aber dafür muss man zuhören, genau wie beim Kunden…


Eine gute Frage zum Schluss: Wann haben Sie das letzte Mal gefragt? Der Mensch neigt dazu, Fragen zu vermeiden, bei denen er glaubt die Antwort zu kennen. Dieser Bias nimmt mit zunehmender Erfahrung und Alter zu – allerdings: man irrt oft genug, so dass es immer gerechtfertigt (und professionell) ist, die Fragen auch zu stellen.

Veröffentlicht von Thies Lesch, LL.M.

Thies Lesch (Baujahr 1972) studierte, nach Bankausbildung und Weiterbildung zum Handelsfachwirt, Betriebswirtschaft an der Fernuniversität in Hagen und schloss mit den Vertiefungen Bankbetriebslehre und Wirtschaftsinformatik als Diplom-Kaufmann ab. Mit einigen Jahren Abstand folgte in 2016 der Master of Laws in Wirtschaftsrecht an der Hamburger Fernhochschule HFH mit den Vertiefungsschwerpunkten Arbeitsrecht, Mediation und – als Abschlussthema – Kreditrecht. Die Masterarbeit „Negative Zinsen und das Kreditgeschäft: Rechtliche Herausforderungen für Banken in Deutschland“ wurde vom SpringerGabler-Verlag in das BestMasters-Programm aufgenommen und erschien im Januar 2017 als Fachbuch. Die über 30 Jahre Berufserfahrung erstrecken sich in verschiedenen Rollen und (Führungs-)Funktionen weitgehend auf das Firmenkunden(kredit)geschäft und nationale wie internationale Spezial-/Projektfinanzierungen. Thies Lesch ist ausgewiesener Experte in Vertriebsmanagement und Vertriebssteuerung mit ausgeprägter strategischer Kompetenz. Sein Interesse gilt der Systematisierung im Vertrieb, der potenzialorientierten Marktbearbeitung, der Zukunftsfähigkeit des Produktangebotes von Banken und Sparkassen und dem Entscheidungsverhalten von und in Organisationen aus den Perspektiven Compliance und Unternehmensethik.

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